Es sieht so aus, als bliebe das rassistische Blutbad nicht das erste oder das letzte seiner Art. Seit dem Anwerben und der Aufnahme von ArbeitsmigrantInnen setzen sich alle vernünftigen und reflektierten SchriftstellerInnen, KünstlerInnen und PolitikwissenschaftlerInnen mit diesem Thema oder diesem Szenario auseinander. In ihren Werken und Beiträgen räumen sie ständig Platz für derartige Themen und Gedanken ein, beschäftigen sich intensiv mit ihnen. Alle bisherigen Regierungsmitglieder, Parlamentsabgeordnete, kommunale Ratsmitglieder, etc. bearbeiten sie ebenfalls, halten Statements dazu, bereiten ihre Vorschläge vor, usw.
Als Ramazan Avci im Jahre 1985 in Hamburg ermordet wurde, hatte ich dazu ein Gedicht geschrieben. Ich schickte es an alle damaligen Vorsitzenden aller Parteien, die im Bundestag vertreten waren. In meinem zu dem Mordfall verfassten Brief versuchte ich ihnen zu verdeutlichen, dass die Spaltung der Gesellschaft in „Wir und Die“, in „Ausländer und Deutsche“ verantwortlich für den Mord an Ramazan Avci gewesen war. Solange die Gesetze von „Wir“ und „Die“ redeten und Politik und Medien darüber schwadronierten, würde die Ausländerfeindlichkeit in der deutschen Gesellschaft zunehmen. In meinem Brief betonte ich, dass diese heranwachsende Ausländerfeindlichkeit irgendwann auch das Regime und die Demokratie gefährden könnte.
Ich würde jetzt gerne ein paar Verse meines Gedichts aus dem Buch „Ich kam von weit her“ wiedergeben:
„Wie Du Dunkelheit verbreitest,
Mit Deinem Spruch ‚Ausländer raus‘.
Die Mauern, die ich hochzog,
Gebrochen mit Deinen Händen die Bäume der Freundschaft,
Die in den Gärten unserer Herzen tiefgewurzelt…
…
Verletzt haben mich nicht
Eure Messer und Ketten in euren Händen.
Eure Gesetze waren es,
Die durch das Parlament peitschten.“
Seitdem ereigneten sich in allen Bundesländern weitere unzählige Übergriffe von Neonazis. Häuser wurden in Brand gesteckt, Menschen ermordet. Auf den Straßen, in Schulhöfen und an vielen Betrieben wurden Menschen, die eine andere Sprache sprachen oder einen anderen Glauben hatten, zusammengeschlagen. Nach jedem Mord oder jeder Tat haben die zuständigen Gremien erklärt, dass ein „psychisch gestörter Mensch“ dahinter stecken würde. So wurden diese Fälle unter den Teppich gekehrt.
Die Stimmen, die auf die AfD fallen, beweisen, dass jede/r Fünfte in Deutschland entweder die neonazistische Ideologie vertritt oder diese zuzwinkernd unterstützt und mitträgt.
Vernünftige und reflektierte SchriftstellerInnen und Intellektuelle wiesen nach jeder Aussage, bei dem Täter würde es sich um einen „psychisch kranken Menschen“ handeln, stetig daraufhin, dass sich die neonazistischen Netzwerke in staatlichen Institutionen durch diese Aussage organisieren und verbreiten könnten, oder diese Entwicklungen mit derartigen Aussagen zumindest ermöglicht oder gar begünstigt würden. Die zuständigen Verantwortlichen verschlossen ihre Augen vor dieser Gefahr. Sie hörten uns nicht zu.
Leider müssen wir heute feststellen, dass sich die neonazistischen Netzwerke und Strukturen innerhalb des Staates etabliert haben und gleichzeitig auch immer wieder versuchen, das Regime ins Chaos zu stürzen und den Nazismus an die Macht zu bringen.
Den größten und organisiertesten Anteil der MigrantInnen in Deutschland bilden derzeit Türkeistämmige. Die Neonazis verfolgen mit ihrer Islamfeindlichkeit und der Hetze gegen Islam und Flüchtlinge das Ziel, Chaoszustände im ganzen Land zu erreichen und die Gesellschaft umzustürzen.
Hierfür kann als Beweis angeführt werden, dass bei allen organisierten rechten Morden immer ein/e Bedienstete/r des Staates mitwirkte. Diese Mitwirkung und Unterstützung ist am Ende jeweils aufgeflogen. Vor gerade einmal drei Wochen wurde ein neonazistisches Terrornetzwerk in Hamm bekannt, das von einem 50-jährigen Polizisten mitgegründet und unterstützt wurde. In den Medien wurde dazu geschrieben, dass dieses rassistische Terrornetzwerk darauf bedacht war, Attentate in sechs Bundesländern vorzubereiten und zu planen. Ob Hanau sich auch unter diesen Zielen befand und eine Verbindung zwischen diesem Terrornetzwerk und dem Terrorakt in Hanau besteht, muss gründlich untersucht werden.
Es ist noch zu früh, um etwas darüber sagen zu können, ob die Bundesregierung und die zuständige Bürokratie Maßnahmen gegen diese Ziele der Neonazis ergreifen werden.
In diesem Jahr gab es Dutzende rassistische und rechte Übergriffe und Morddrohungen gegenüber Staatsbediensteten.
In Thüringen erhielt der Ministerpräsidentschaftskandidat der CDU, Mike Mohring, vor der Landtagswahl am 27. Oktober 2019 rechtsradikale Morddrohungen. Er solle nicht kandidieren, ansonsten drohe ihm der Tod. Auch der Kasseler Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke wurde erst bedroht und dann ermordet. Der Bürgermeisterkandidat der CDU in Altena, Andreas Hollstein, wurde erst bedroht, dann Opfer eines rechten Messerangriffs und verletzt. Die Kölner Bürgermeisterin, Henriette Reker, wurde ebenfalls Opfer eines Messerangriffs. Arndt Focke, der Bürgermeister der SPD in Estorf-Nienburg, wurde mit dem Leben seiner Familie bedroht und trat aus diesem Grunde aus seinem Amt zurück. Der Bürgermeister in Kamp-Lintfort, Christoph Landscheidt von der SPD, beantragte bei den zuständigen Gremien des Öfteren einen Waffenschein, damit er sich bei einem eventuellen Angriff mit einer legalen Waffe verteidigen könne. Wir lasen in Zeitungen, dass all seine Bemühungen vergeblich waren und abgelehnt wurden. Die Staatssekretärin Sawsan Chebli und ZDF Korrespondentin Dunya Hayali erhielten ebenfalls immer wieder Morddrohungen von Rechtsradikalen.
Neonazis wie Tobias Rathjen, der für den Mord an 9 Menschen verantwortlich ist, erhalten aber einen Waffenschein. Doch nach jedem rassistischen und rechten Attentat werden diese rechten Mörder als Geistesgestörte betitelt, weshalb sie mildere Strafen erhalten, wodurch ihre schrecklichen Taten in der Gesellschaft wiederum legitimiert und abgemildert werden. Die Gesellschaft und PolitikerInnen in Deutschland müssen aufhören, Neonazis in Schutz zu nehmen. Diese wollen eine neue Hitler-Ära einführen und sehen sich dabei dazu berechtigt, Menschenleben auszulöschen, Menschen körperlich zu verletzen und Angst und Schrecken zu verbreiten. Ihr Ziel ist eindeutig. Obwohl der Anschein geweckt wird, Ausländer würden gerade auf ihrer Zielscheibe stehen, wollen sie doch in erster Linie den deutschen Staat umstürzen und die Macht an sich reißen. Sowohl das deutsche Kapital, als auch die Beschäftigten und Arbeiter haben aber kein Interesse daran, dass die Rechten an die Macht kommen.
Dennoch hat Bundeskanzlerin Angela Merkel der Presse nach dem rassistischen Blutbad in Hanau deutlich gemacht, dass gerade Neonazis gegen den Staat vorgehen und diese Brut mit allen Mitteln bekämpft würde. Wir nehmen sie beim Wort und würden es sehr begrüßen, wenn die Verantwortlichen diese Schritte auch schleunigst einleiten und konsequent gegen Rechte und Rassisten vorgehen würden.
Molla Demirel
(Autor, Geschäftsführer Radio-Kaktus Münster e.V.)