Begrüßungsrede von Stadtdirektor Thomas Paal zum Europäischen Tag der Sprachen

Eine Reflexion über Multikulturalität und Mehrsprachigkeit in Münster

 

 

 

 

Sehr geehrte Frau Dr. Wiesmann,

sehr geehrter Herr Demirel,

sehr geehrte Damen und Herren,

 

die Vielfalt der Kulturen und der Sprachen ist ein enormer Schatz und zugleich eine große Aufgabe: für das Individuum und für unsere Gesellschaft! Multikulturalität und Mehrsprachigkeit brauchen Orte des Austauschs und die Bereitschaft, voneinander und miteinander zu lernen.

Es ist gut, dass sich in der Friedens- und Wissenschaftsstadt Münster viele Menschen – einige von ihnen sind heute hier – sehr überzeugend für Toleranz und gegen Ausgrenzung engagieren. Sie schaffen damit die Basis für einen respektvollen Umgang mit Multikulturalität und Mehrsprachigkeit in dieser Stadt.

Lieber Herr Demirel, Sie setzen sich als preisgekrönter Autor, Schriftsteller und Dichter, als Stifter des Internationalen Kinderspielzeugmuseums und im Kaktus Münster sowie dem Radio Kaktus seit Jahrzehnten dafür ein, dass sich Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und mit unterschiedlichen Lebensstilen zu ihrem gegenseitigen Nutzen und für ein friedliches Zusammenleben unterstützen und fördern. Sie sind aus ganzem Herzen davon überzeugt: „Unsere Unterschiede sind unser Reichtum.“[1]  Ganz ausdrücklich gilt dieser Satz für Sie auch in Bezug auf mehrsprachige Bildung.[2]

Im Zentrum dieser Veranstaltung steht der von Ihnen herausgegebene neue Sammelband „Die Bedeutung multikultureller und mehrsprachiger Bildung in der Migrationsgesellschaft“. Das Buch wirft Schlaglichter auf viele interessante Aspekte des Themas, sensibilisiert für die Herausforderungen, die damit einhergehen und rückt den Umgang mit migrationsbedingter Mehrsprachigkeit in den Bildungsinstitutionen – besonders in der Schule – ins Zentrum.

Mehrsprachigkeit wird in Münster gelebt. Wir begegnen ihr überall: beim Einkaufen, am Arbeitsplatz, beim Sport, an der Uni, in Kitas und in Schulen. Mehrsprachigkeit umgibt uns – sprachliche und kulturelle Vielfalt sind bereichernd!

Sprache ist Teil der persönlichen Identität. Wird das Recht auf Sprache durch Gebote für die deutsche Sprache oder Verbote anderer Sprachen in Frage gestellt – wie jüngst im nordrhein-westfälischen Kommunalwahlkampf anderenorts geschehen[3], erleben Menschen ihre Mehrsprachigkeit zumindest als Hindernis oder Ballast, vielleicht sogar als Risikofaktor.   

Entscheidend für ein gutes Aufwachsen von Kindern mit internationaler Familiengeschichte ist die Haltung von pädagogischen Fachkräften und Lehrkräften zur Mehrsprachigkeit. Sind die verschiedenen Familiensprachen in Kitas, Schulen, in der OGS willkommen? Ist dort eine wertschätzende und herzliche Offenheit für die Sprachen vorhanden, die in den Köpfen der Kinder und Jugendlichen existieren, die angezapft und für Lernprozesse nutzbar gemacht werden können? Dann ist ein wichtiger erster Schritt getan. Oder erleben Kinder und Jugendliche, dass von ihnen erwartet wird, ihre Sprache an der Tür zur Kita oder Schule abzugeben?

Verständigung gelingt besser, wenn man sich versteht, die gleiche Sprache spricht. Sicher, der Schlüssel für Teilhabe und Integration in Deutschland ist die deutsche Sprache. Aber beim Entschlüsseln der deutschen Sprache – ein nicht immer ganz einfaches Unterfangen –, können die Herkunftssprachen helfen und sorgen im besten Fall für mehr Motivation, Leistungsbereitschaft, Sprach- und Bildungsgerechtigkeit.

Die Forschung zeigt, je besser Kinder und Jugendliche ihre Herkunftssprachen mündlich und schriftlich beherrschen, desto besser schneiden sie im Deutschen ab. Dies spricht für den Ausbau herkunftssprachlicher Unterrichtsangebote.

In Münster sind in den vergangenen Jahren verschiedene Ansätze auf den Weg gebracht worden, die Mehrsprachigkeit von Kindern und Jugendlichen als Bildungs-Ressource anerkennen und nutzen. Lassen Sie mich drei Beispiele nennen:

  1. Der herkunftssprachliche Unterricht wird vom Schulamt organisiert und als zusätzliches Angebot zum regulären Unterricht durchgeführt. Im Schuljahr 2025/26 werden die Sprachen Albanisch, Arabisch, Chinesisch, Italienisch, Polnisch, Portugiesisch, Russisch, Spanisch, Neugriechisch und Türkisch an verschiedenen Standorten im Stadtgebiet unterrichtet. In der praktischen Umsetzung gibt es allerdings nach wie vor Hürden, die den Zugang erschweren. Dazu gehören hohe Mindesteilnehmer*innenzahlen für einzelne Angebote, oft weite Wege zu den Unterrichtsräumen und fehlende Räume für ergänzende Angebote privater Initiativen oder Migrantenselbstorganisationen. Wünschenswert wäre eine enge Verzahnung und Einbindung des herkunftssprachlichen Unterrichts in den Schulalltag.
  2. Mulingula, das mehrsprachige Vorleseprojekt aus Münster für Kinder, deren Familiensprache nicht Deutsch ist, hat sich bewährt und wird inzwischen landesweit, insbesondere auch von Startchancen-Schulen zur gezielten Förderung genutzt. Die Vorlesestunden in verschiedenen Herkunftssprachen werden vom Verein Mulingula organisiert. Die Stadt Münster fördert Mulingula in diesem Jahr mit rund 36.000 Euro. Darüber hinaus wurden bisher 1,75 Stellen finanziert.[4]
  3. Das Kommunale Integrationszentrum koordiniert Sprachbildungsnetzwerke für Lehr- und Fachkräfte an Schulen und unterstützt sie in der Anwendung digitaler Tools und innovativer Lehrmethoden zur Mehrsprachigkeit, die den Unterricht effektiver machen und die Vorbereitung erleichtern können.

Gefragt sind nach wie vor Konzepte der durchgängigen Sprachbildung, die die gesamte Bildungsbiografie begleiten und die helfen, die Bildungspotenziale aller Kinder zu entfalten.

Grundlage und Zielsetzungen der kommunalen Migrationsarbeit formuliert seit bald 20 Jahren das Migrationsleitbild der Stadt Münster. Es wird alle fünf Jahre in einem breit angelegten und komplexen partizipativen Prozess erarbeitet – koordiniert vom Kommunalen Integrationszentrum. Natürlich sind auch Mehrsprachigkeit und Interkulturalität darin vielfach ansprochen. Mehrsprachkeit wird auf allen Ebenen der Stadtgesellschaft und ihrer Institutionen als Potential und Bereicherung begriffen – ein Leitziel des Migrationsleitbilds. Ohne Ziel ist es schwer, den Weg zu finden. Das Ziel erreicht sich aber nicht selbst. Wir sind gefordert!

Jüngst veröffentlichte die Robert-Bosch-Stiftung das sog. Vielfaltsbarometer. Eine Feststellung lautet: Gesellschaftliche Vielfalt ist in Deutschland zwar gelebte Realität, sie steht aber unter Druck. Eine von Krisen erschöpfte Bevölkerung ist weniger offen für Vielfalt als noch vor einigen Jahren.

Wie kann es gelingen, dass mehrsprachige und multikulturelle Bildung als Katalysator für Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Migrationsgesellschaft wirken? Ich bin gespannt auf die Antworten aus Wissenschaft, Politik, Bildung und Kultur, die hier jetzt gleich in der Podiumsdiskussion zur Sprache kommen.

[1] Interview mit Molla Demirel: „Deutschland war schon immer ein Einwanderungsland“, in: Migrationspolitisches Portal der Heinrich-Böll-Stiftung, 02.12.2021, https://heimatkunde.boell.de/de/2021/12/02/deutschland-war-schon-immer-ein-einwanderungsland-0

[2] Vgl. Demirel, Molla: Mehrsprachige und multikulturelle Bildung, in: Demirel, Molla (Hg.): Die Bedeutung multikultureller und mehrsprachiger Bildung in der Migrationsgesellschaft. S. 15-29.

[3] Kommunalwahlkampf der AfD in Gelsenkirchen, https://www.zdfheute.de/video/laenderspiegel/vor-kommunalwahl-in-nrw-100.html, abgerufen am 11.09.2025.

 

[4] Hinweis von Annika Alke: Der Zuschuss für Stellenanteile ist im Haushaltsplanentwurf nicht mehr vorgesehen, außerdem wird die Maßnahme als freiwillige Leistung im Konzept Finanzstabilität aufgeführt.